Bereits in 2022 stellte die SAP im Rahmen der TechEd die Produktfamilie SAP Build als Drag-and-Drop-Entwicklungsumgebung für Low-Code- und No-Code-Anwendungen vor. Mit dieser Lösung möchte die SAP Fachanwenderinnen und -anwendern in der Linie – die sogenannten Citizen Developer – die einfache und schnell Erstellung von Unternehmensanwendungen ohne Programmierkenntnisse ermöglichen.
Was genau die SAP Build Process Automation, als wichtiger Bestand dieser Produktfamilie, bei der Digitalisierung und Automatisierung von HXM-Prozessen leisten kann, besprechen p78 Geschäftsführer Michael Scheffler und Jonas Germann, Customer Advisor Banking & Insurance bei der SAP, in dieser Folge von HR/IT Talk.
Ergänzende Informationen zu dieser Episode:
Ergänzende Informationen zu dieser Episode:
- "SAP Build erklärt", Computerwoche Fachartikel von Michael Scheffler
- „HR/IT Talk“ Podcastfolge #52 „Mit Low-Code/No-Code und SAP Build Prozesse im HR erfolgreich digitalisieren“
- „Der Business Schwarm“, YouTube Kanal von und mit Jonas Germann: https://www.youtube.com/@BusinessSchwarm
- „Low Code / No Code“, X (ehemals Twitter) Kanal von und mit Jonas Germann: https://twitter.com/LowAndNoCode
- “How to configure and setup SAP Build Process Automation Part 1 / 2”, SAP Blog Post von Jonas Germann
- “How to configure and setup SAP Build Process Automation Part 2 / 2”, SAP Blog Post von Jonas Germann
Das Interview zum Nachlesen
Michael Scheffler:
Servus Jonas, vielen Dank, dass du dir die Zeit für das heutige Interview und diese Podcast-Folge nimmst. Auf deiner Visitenkarte steht "Customer Advisor, Banking & Insurance" und du arbeitest bei SAP. Was genau macht man in dieser Funktion und wie bist du zu SAP gekommen?
Jonas Germann:
Moin Michael, danke erstmal für deine Einladung. Als Customer Advisor für Banking & Insurance berät man SAP-Kunden und solche, die es noch werden wollen, zu Themen wie SAP-Lösungen, einer guten IT-Strategie und offenen Fragen, die der Kunde an uns heranträgt. Da jede Industrie eine eigene Kultur und spezielle Themen hat, sind die Anforderungen in der Finanzdienstleistungsbranche, wie etwa regulatorische Vorgaben, besonders. SAP hat für jede Branche spezialisierte Customer Advisors, sei es im Bereich Healthcare, Manufacturing oder eben Financial Services, also FSI.
Wie wird man Customer Advisor bei SAP?
Da führen viele Wege nach Rom. Ich habe nach meinem Studium in der Kundenakquise für verschiedene Software-Themen gearbeitet und war danach in der ERP-Beratung und Implementierung tätig. Ich komme also von der Herstellerseite. Während meiner Zeit in der Beratung habe ich meine Vorliebe für den Presales-Bereich entdeckt, habe mich für die Customer Advisor Academy bei SAP beworben und bin über diese Academy in den Bereich Banken und Versicherungen gekommen. Einige meiner Kollegen haben jedoch einen ganz anderen Hintergrund und kommen direkt aus den entsprechenden Instituten, wo sie teilweise auch ihre Ausbildung oder ihr Studium gemacht haben.
Michael Scheffler:
Das bedeutet, du bist ausschließlich auf Banken und Versicherungen fokussiert, richtig?
Jonas Germann:
Ja, genau. Dieser Fokus hilft meinen Kollegen und mir, bestimmte Themen nicht mehrfach neu zu erarbeiten. Wenn zum Beispiel eine Bank eine gesetzliche Vorgabe umsetzen muss und sich an uns wendet, können wir eine Lösung anbieten, die einen Mehrwert für viele Banken schafft. Diese Branche unterliegt besonderer Aufsicht durch die BaFin und muss mehr Informationen, Daten und Prozesse dokumentieren und melden als andere Branchen. Solche staatliche Vorgaben haben oft Fristen, und wir tun unser Bestes, um unseren FSI-Kunden zu helfen, diese Vorgaben mit SAP-Technologie umzusetzen.
Ein Beispiel für die Zuhörer: Wenn du, Michael, einen Kredit für den Kauf einer Immobilie aufnehmen möchtest, musst du in der Regel Eigenkapital mitbringen und mit deiner Bank einen Vertrag verhandeln. Dahinter steckt eine große Kette an Prozessen und Vorgaben, zu welchen Bedingungen eine Bank einen Kredit vergeben darf, was sie dokumentieren muss, wie lange diese Dokumente aufbewahrt werden müssen und wo sie revisionssicher gespeichert werden. All das ist gesetzlich vorgegeben und manchmal ändern sich diese Vorgaben. Regelmäßig wird geprüft, ob sich alle an die Vorgaben halten. Da müssen Banken und Versicherungen schnell reagieren, und wir helfen, wenn SAP-Lösungen betroffen sind.
Einstieg in SAP Build und der Nutzen von Low-Code/No-Code-Lösungen in der Finanzbranche
Michael Scheffler:
Vieles von dem, was du erwähnst, kenne ich aus eigenen Kundenprojekten. Wie bist du denn zu dem Thema SAP Build gekommen, über das wir heute sprechen möchten? Setzen SAP-Anwender in deiner Branche bereits verstärkt auf Low-Code/No-Code und SAP Build, oder was sind deine Erfahrungen?
Jonas Germann:
Um ehrlich zu sein, war SAP Build für mich eher ein Zufall. Als ich in der SAP Academy war, hat mich mein Kollege Marc Zintl darauf aufmerksam gemacht. Wir fanden das Thema spannend und haben angefangen, den YouTube-Kanal "Der Business-Schwarm" zu betreiben, wo wir eigene Videos zu SAP Build, Low-Code/No-Code und der BTP hochgeladen haben. Was die Marktentwicklung angeht: Low-Code/No-Code ist definitiv bei all unseren Kunden angekommen, auch im Banken- und Versicherungsbereich, auch wenn ich denke, dass es noch Luft nach oben gibt, was die Nutzung angeht. Die Nutzung variiert stark zwischen Industrien und Regionen.
Die SAP und andere Unternehmen wie große Strategieberatungen befragen regelmäßig ihre Kunden zu Themen wie Low-Code/No-Code. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur kleine und mittelständische Unternehmen, sondern auch Großkonzerne sich mit diesen Technologien beschäftigen. Da die Lösungen noch nicht lange auf dem Markt sind, sind die Erfahrungen sehr unterschiedlich. Manche starten gerade erst, während andere schon seit Jahren an dem Thema arbeiten. Unsere FSI-Kunden schauen sich neue Technologien und Ansätze wie SAP Build genau an, da sie ein anspruchsvolles Tagesgeschäft haben, bei dem Technologie einen hohen Stellenwert hat und sich schnell an veränderte Geschäftsanforderungen anpassen muss.
Zu deiner Frage, ob FSI-Kunden SAP Build nutzen: Ja, definitiv. Ein besonders wichtiger Punkt für FSI ist dabei die Sicherheit. Wo liegen meine Daten? Wie lange und wie sind diese gesichert? Wer Low-Code/No-Code nutzt, setzt in der Regel auf Cloud-Lösungen, bei uns ist das die SAP BTP, die auf Hyperscalern wie AWS oder Google Cloud läuft. Wenn ich einen kritischen Prozess wie Recruiting oder Payroll über die BTP erweitere, stellt sich die Frage, ob diese sensiblen Daten dort gespeichert werden. Die Antwort ist: Sie müssen es nicht. Man kann selbst steuern, wie lange Informationen temporär gespeichert werden, oder auch komplett auf Persistenz verzichten.
Wer setzt heute schon auf SAP Build? Wenn man auf der Produktseite von SAP Build sucht, sieht man bereits einige Namen. Es gibt sowohl kleine Hilfsorganisationen mit 20 Mitarbeitern, die sich mit Low-Code/No-Code eine App gebaut haben, um Feedback einzuholen, als auch große Konzerne, wie etwa Automobilhersteller, die SAP Build nutzen. Alle haben gemeinsam, dass sie sich mit einer standardisierten Technologie von SAP, nämlich SAP Build, dem Thema Low-Code/No-Code nähern.
Wenn ich auf die Entwicklung von Low-Code/No-Code in den letzten zwei Jahren schaue, besonders in der Finanzindustrie, sehe ich, dass das Thema stark gewachsen ist. Aber das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft.
Komponenten des SAP Build-Portfolios: Low-Code-Lösungen für App-Erstellung, Prozessautomatisierung und Work Zone
Michael Scheffler:
Vielen Dank, Jonas, für deine Einschätzung. Das bestätigt auch unsere Erfahrungen. Könntest du noch kurz ein paar allgemeine Informationen zur Produktfamilie SAP Build geben? Welche Komponenten umfasst SAP-Bild denn im Detail? Du hast gerade schon erwähnt, das Ganze basiert auf der Business Technology-Plattform, aber wie genau ersetzt sich das zusammen?
Jonas Germann:
Das SAP-Build-Portfolio besteht im Wesentlichen aus drei Lösungen: SAP Build Apps, Build Process Automation und Build Work Zone.
SAP Build Apps ist eine Low-Code/No-Code-Lösung zur Erstellung von Apps. Dabei kann man auch ein wenig mit Code arbeiten, aber das Grundprinzip basiert auf Drag-and-Drop, sodass man Logiken und eigene Komponenten zusammensetzen kann, um eine App zu erstellen. Diese Apps lassen sich nahtlos mit SAP Build Process Automation verbinden, um beispielsweise Workflows zu integrieren.
Mit SAP Build Process Automation können Prozesse, die sonst manuell ablaufen würden, automatisiert oder teilautomatisiert werden. So kann man zum Beispiel Formulare verwenden, um einen Genehmigungsprozess zu starten, oder mit Bots arbeiten, die E-Mails auslesen, Anhänge herunterladen und Informationen extrahieren, die dann in den Prozess integriert werden.
Die dritte Komponente ist SAP Build Work Zone. Damit soll sichergestellt werden, dass alles auf einer zentralen Oberfläche stattfindet, ohne dass man zwischen verschiedenen Applikationen und Tabs hin- und herwechseln muss. SAP Build Work Zone dient als einheitlicher Einstiegspunkt für alle SAP- und Non-SAP-Anwendungen in einem Unternehmen, egal ob sie on-premise oder in der Cloud laufen. Oft arbeiten Unternehmen mit einer Mischung aus verschiedenen Systemen und hier bietet SAP Build Work Zone den optimalen Einstiegspunkt, um die gesamte Softwarelandschaft eines Unternehmens zusammenzuführen.
Diese drei Lösungen basieren auf drei Prinzipien:
- Visuelles Erstellen – Drag-and-Drop-Elemente sind überall integriert, auch bei der Erstellung der Landing-Page in der Work Zone.
- Nahtlose Integration – Ein Beispiel: Wenn du eine App erstellst und deployst, ist sie nach wenigen Sekunden in der Work Zone verfügbar. Du kannst sie direkt freischalten und anwenden.
- Effektive Zusammenarbeit – Die Lösung fördert die Zusammenarbeit zwischen Fachbereich, IT-Abteilungen und externen Beratungsunternehmen. So können alle gemeinsam an der Entwicklung von Lösungen arbeiten, wobei auch der Fachbereich aktiv eingebunden wird. Diese Teams, oft Fusion-Teams genannt, bestehen aus Citizen Developers, die eng mit professionellen Entwicklern zusammenarbeiten.
Michael Scheffler:
An dieser Stelle möchte ich auf unsere Podcast-Folge Nummer 52 hinweisen, in der ich Anfang des Jahres ausführlich mit meiner Kollegin Sabrina Flach über Low-Code/No-Code und SAP Build gesprochen habe.
Nachdem wir nun einen allgemeinen Überblick über SAP Build gegeben haben, lass uns näher auf SAP Build Process Automation eingehen. Du hast bereits erwähnt, dass damit Geschäftsprozesse systemübergreifend digitalisiert und automatisiert werden können. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Vom Workflow-Management bis zur KI: Wie SAP Build Process Automation Geschäftsprozesse automatisiert
Jonas Germann:
Also, erst einmal vorweg: Ich liebe Process Automation, und insbesondere das Produkt SAP Build Process Automation. Es besteht aus mehreren einzelnen Komponenten.
Zum einen gibt es das Workflow-Management. Hier kann man per Drag-and-Drop seinen eigenen Workflow zusammenstellen. Ein einfaches Beispiel für diejenigen, die das noch nicht gesehen oder gemacht haben, wäre ein Urlaubsantrag. Normalerweise enthält ein Urlaubsantrag das Datum, eventuell noch den Namen der Person, die einen vertreten soll, und einen Genehmigungs- oder Ablehnungsbutton. So etwas kann man mit dem Workflow-Manager in SAP Build Process Automation ganz einfach erstellen. Der Antrag geht dann an den zuständigen Vorgesetzten, der ihn annehmen oder ablehnen kann. Solche Prozesse, die bisher vielleicht in Excel-Tabellen oder E-Mails stattgefunden haben, können digitalisiert und sauber archiviert werden. Die Informationen können dann z.B. mit SAP SuccessFactors oder S/4HANA geteilt werden.
Eine weitere wichtige Funktion ist RPA, also Robotic Process Automation, mit sogenannten Bots. Diese können Aufgaben automatisieren. Ein Beispiel wäre eine Inbox für Bewerbungen. Der Bot wartet darauf, dass eine E-Mail mit einer Bewerbung eingeht, liest diese E-Mail aus, identifiziert den Absender und erstellt automatisch ein Profil im SAP SuccessFactors-System. Je nach HR-Prozessen können zahlreiche Aufgaben automatisiert werden, die bisher manuell erledigt wurden. Ich arbeite seit zwei Jahren mit Bots und der RPA-Funktion und es begeistert mich immer noch, wenn der Bot Aufgaben über den Desktop erledigt, nachdem er programmiert wurde. Für mich fühlt sich das immer noch ein bisschen wie Magie an.
Die dritte Komponente, die ich nennen möchte, ist das Entscheidungsmanagement. Das beginnt bei einfachen "Wenn-dann"-Bedingungen. Zum Beispiel: Wenn der Auftrag eine bestimmte Summe übersteigt, muss Michael den prüfen. Wenn es ein kleiner Auftrag ist, übernimmt Jonas.
Zu guter Letzt möchte ich noch das Thema Künstliche Intelligenz einbringen. Wenn ein Bot Dokumente aus Outlook herunterlädt, gibt es auf der BTP (Business Technology Platform) Funktionen, um diese Dokumente zu analysieren. Das nennt sich Document Information Extraction. Man kann dem System beibringen, welche Informationen wichtig sind, zum Beispiel Absender oder Empfänger, und diese gezielt auslesen. Die KI lernt auch selbstständig und kann auf Anfrage bestimmte Informationen, wie Namen, erkennen, ohne dass vorher definiert wurde, wo diese im Dokument zu finden sind. Das funktioniert mittlerweile erstaunlich gut – vor einem halben Jahr war es noch auf einem ganz anderen Niveau.
Konkrete Beispiele aus der Praxis: Automatisierung von Onboarding, Zeiterfassung und Learning-Prozessen
Michael Scheffler:
Es ist wirklich beeindruckend, was diese Lösungen bieten. Am besten wird das klar, wenn wir uns konkrete Anwendungsfälle ansehen. Du hast einige reale Kundenbeispiele mitgebracht, insbesondere im HR-Bereich. Könntest du uns bitte zwei bis drei Use Cases aus dem HR erläutern?
Jonas Germann:
Klar, ich starte einfach mal mit einem Onboarding Use Case. Alle Use Cases, die ich jetzt beschreibe, hängen ein bisschen davon ab, wie dein aktuelles Setup im HR-Bereich aussieht. Zum Beispiel, wie stark ist SAP SuccessFactors bei dir ausgeprägt oder läuft alles noch über Excel-Tabellen? Das beeinflusst, ob dieser Use Case für dich relevant ist.
Stellen wir uns vor, du hast einen Bewerbenden in deinem HR-System und der Recruiting-Prozess ist im Prinzip abgeschlossen. Es geht jetzt ins Onboarding und der Status wird auf „Einstellungsbereit“ geändert. Hier kann man mit dem Bot festlegen: Sobald sich der Status eines Bewerbers auf „Einstellungsbereit“ ändert, startet der Bot. Er greift die notwendigen Onboarding-Formulare, die für diese Position erforderlich sind und sendet sie an den neuen Mitarbeiter. Das könnte zum Beispiel eine PDF mit Personalstammdaten sein. Da der neue Mitarbeitende noch keine firmeninterne E-Mail-Adresse hat, werden diese Formulare an seine private E-Mail gesendet.
Der neue Mitarbeitende füllt die Formulare aus und sendet sie zurück. Der Bot liest die Informationen aus. Wenn ein Fehler vorliegt, zum Beispiel ein nicht ausgefülltes Feld oder ein unrealistisches Geburtsdatum, kann der Bot eine Korrektur anfordern und die Dokumente mit einem Hinweis an den Bewerbenden zurückschicken. Alternativ kann der HR-Mitarbeitende hinzugezogen werden. Sollte der Bot einen Fehler erkennen, hebt er virtuell die Hand und weist den HR-Mitarbeiter auf das Problem hin, sodass im Notfall eingegriffen werden kann.
Wenn das Formular korrekt ausgefüllt wurde, nimmt der Bot die Daten und speichert sie über eine API-Schnittstelle, z.B. in SAP SuccessFactors. Am Ende des Prozesses wird ein Abschlussbericht erstellt, der an den HR-Mitarbeitenden und den neuen Mitarbeitenden gesendet wird – zum Beispiel per E-Mail. Ich finde diesen Ansatz sehr charmant und wichtig, da ein neuer Mitarbeitende oft nervös und aufgeregt ist. Man will einen guten ersten Eindruck hinterlassen und sicher sein, dass alles korrekt läuft. Es wäre schlecht, wenn man seine Informationen sendet und dann wochenlang nichts hört. Mit der automatisierten Rückmeldung ist der neue Kollege oder die neue Kollegin sofort im Bilde und zufrieden. Das ist nur ein kleines Beispiel, das man natürlich noch weiter ausbauen kann.
Michael Scheffler:
Wichtig ist dabei, wie schon erwähnt, dass die Process Automation nicht den SAP-Standard ersetzen soll. Vielmehr ist sie dazu da, diesen zu erweitern. Wenn wir über Onboarding-Prozesse sprechen, soll das nicht die vollwertige SAP-Funktionalität im SAP SuccessFactors-Modul ersetzen, sondern nur dann eingesetzt werden, wenn man nicht plant, das Modul vollständig zu implementieren. Es hängt also immer von der Ausgangssituation und Anforderungen des Kunden ab.
Jonas Germann:
Richtig. Ich hatte auch mal ein Beispiel aus einem großen Unternehmen in Indien, das viele Einstiegspositionen mit hoher Fluktuation hatte. Diese Unternehmen standen vor der Herausforderung, dass sie durch die hohe Fluktuation ständig Massen-Einstellungen vornehmen mussten, was mit einem extrem hohen Volumen verbunden war. Sie hatten zu dem Zeitpunkt keine Lösung wie SAP SuccessFactors mit dem Onboarding-Modul im Einsatz, da dieses ihre Anforderungen nicht vollständig abgedeckt hat. Hier haben sie sich dann eine individuelle Lösung gebaut.
Man kann SAP SuccessFactors oder S/4HANA wunderbar erweitern und ergänzen, wo es notwendig ist.
Michael Scheffler:
Nun, wir hatten gesagt, wir besprechen drei Beispiele. Das zweite Beispiel betrifft den Bereich der Zeiterfassung.
Jonas Germann:
Viele Unternehmen arbeiten mit Schichtsystemen und es ist immer noch erstaunlich, wie oft das in meinem Freundes- und Bekanntenkreis über SMS, Excel-Tabellen oder E-Mails läuft. Man bekommt dann zum Beispiel eine E-Mail an seine private Adresse, um zu erfahren, wann man am Samstag zur Schicht kommen soll und wann nicht. Mit einem RPA-Bot kann man dafür sorgen, dass der Bot den aktualisierten Schichtplan prüft und die entsprechenden Informationen extrahiert. Der Schichtplan wird beispielsweise in einem System bei dir im Haus gepflegt und die Informationen werden Zeile für Zeile vom Bot ins System eingespeichert. Normalerweise wird das manuell von einer Person erledigt, aber durch die Automatisierung können diese Informationen direkt an die betroffenen Personen geschickt werden. So lassen sich Tätigkeiten, die heute noch manuell durchgeführt werden, zumindest teilweise automatisieren.
Michael Scheffler:
Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft solche Dinge noch manuell und damit anfällig für Fehler ablaufen.
Jonas Germann:
Ein drittes Beispiel betrifft das Thema Learning oder Kurserstellung. Es gibt sogenannte Pflichtschulungen, die regelmäßig durchgeführt werden müssen. Vielleicht führt das Unternehmen aber auch eine neue Software ein und möchte, dass die Mitarbeitenden dafür geschult werden. In einem manuellen Prozess sendet das regionale HR-Team beispielsweise eine E-Mail an das HR-Team in der Operations-Abteilung. Diese Abteilung sammelt dann die Informationen, welche Kurse im Learning erstellt werden sollen und erstellt diese Kurse manuell. Das ist zeitaufwendig und fehleranfällig. Eine viel effizientere Lösung wäre, wenn das regionale HR-Team ein Formular ausfüllt, das alle relevanten Inhalte und den Schulungsbedarf enthält. Ein Bot könnte diese Informationen extrahieren und automatisch einen Kurs im Lernmanagement-System anlegen. So hat man eine hohe Datenqualität, die vollständig überprüfbar ist und man kann mit einfachen Formularen arbeiten, die in SAP Build Process Automation erstellt wurden.
Häufig werde ich gefragt, ob man diese Formulare individualisieren kann. Ja, das ist möglich. Mit dem SAP Business Application Studio kann man eigene Oberflächen gestalten und diese in den Prozess integrieren. So kann man zum Beispiel ein Firmenlogo einfügen oder Videodateien einbinden, je nach Bedarf.
Hyper Automation und Enterprise Automation: Effiziente Automatisierung von Geschäftsprozessen mit SAP
Michael Scheffler:
Danke, Jonas. Ich glaube, es ist klar geworden, dass sich hier wirklich viel machen lässt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie aufwendig das Ganze ist. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder den Begriff "Hyper Automation", der von SAP auch oft als "Enterprise Automation" bezeichnet wird. Was genau verbirgt sich dahinter?
Jonas Germann:
Hyper Automation bezieht sich auf einen umfassenden Ansatz zur Automatisierung von Geschäftsprozessen. Dabei werden fortschrittliche Technologien wie Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und RPA (Robotic Process Automation) eingebunden und integriert. Im Wesentlichen geht es darum, die Automatisierung über die Grenzen einzelner Technologien hinaus zu skalieren.
Die Beispiele, die wir eben besprochen haben, betreffen kleine Prozesse, die vielleicht mit Outlook und SAP SuccessFactors zusammenhängen. Das ist ein kleiner Ausschnitt. Wenn du jedoch in einem großen Konzern tätig bist, der in vielen Ländern operiert und unterschiedliche Anforderungen hat, geht es bei der Automatisierung um wesentlich größere Themen, die letztlich in Richtung Hyper Automation führen. Hyper Automation soll Unternehmen helfen, ihre digitale Transformation voranzutreiben, indem manuelle und repetitive Aufgaben automatisiert werden, um Effizienz zu steigern, Fehler zu reduzieren und die Gesamtleistung zu verbessern. Schon allein durch die Vermeidung von Fehlern muss man Dinge nicht doppelt machen.
Enterprise Automation beschreibt ein Produktportfolio von SAP, das SAP Signavio, SAP Build Process Automation und die Integration Suite umfasst. Viele Unternehmen wollen Prozesse automatisieren, aber wenn man nachfragt, ob diese dokumentiert sind, stellt sich oft heraus, dass dies noch nicht erfolgt ist. Hier kommt Signavio ins Spiel, das Teil der Enterprise Automation ist. Signavio kann Process Mining nutzen, um die Prozesse im Unternehmen zu analysieren. So wird sichtbar, wo manuelle Schritte ausgeführt werden. Oft gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was man sich als Sollprozess vorstellt, und dem, was in der Praxis passiert. Process Mining zeigt auch, wo Mitarbeiter den Sollprozess umgehen, beispielsweise durch die Nutzung von E-Mails. Signavio hilft bei der Dokumentation, sodass am Ende der Soll- und Ist-Zustand klar und sauber dokumentiert sind.
Um nach dieser Analyse in die Umsetzung zu kommen, greifen die anderen beiden Komponenten der Enterprise Automation. Die Integration Suite sorgt dafür, dass alle beteiligten Systeme miteinander verbunden werden, auch wenn es Brücken zwischen verschiedenen Systemen gibt. Wenn du zum Beispiel ein S/4HANA- und ein SAP SuccessFactors-System hast, dazu noch On-Premise- und Non-SAP-Systeme in verschiedenen Ländern, dann hilft die Integration Suite, die Dunkelverarbeitung zu verbessern und zu automatisieren. Wenn du zum Beispiel in SAP SuccessFactors einen Genehmigungsprozess startest, wird die Information direkt an andere Systeme übertragen. Solche Verknüpfungen lassen sich mit der Integration Suite umsetzen.
Andere Themen, wie die Automatisierung repetitiver und manueller Schritte, lassen sich dann mit SAP Build Process Automation angehen. All das gehört zum Konzept der Enterprise Automation bei SAP.
Abschließende Tipps zur Einführung von SAP Build und Process Automation im Unternehmen
Michael Scheffler:
Vielen Dank für diesen Überblick. Mit Blick auf die Zeit möchte ich dich zum Schluss noch um ein paar Tipps für unsere Zuhörer bitten, die nun Interesse an SAP Build, Process Automation und der Digitalisierung im HR-Bereich bekommen haben. Worauf sollten sie achten, wenn sie konkrete Projekte angehen?
Jonas Germann:
Michael, mein persönlicher Tipp für alle, die sich daran wagen wollen: Startet mit einem einzelnen Prozess. Viele wollen direkt alles automatisieren, zum Beispiel den gesamten HR-Bereich, der bereits sehr komplex ist. Das führt oft dazu, dass Projekte länger dauern und teurer werden, weil man große Teams aufstellen muss und mit vielen externen Partnern zusammenarbeitet. Wenn du noch keine Erfahrung in diesem Bereich hast, empfehle ich, mit einem einzigen Prozess zu beginnen. Nehmen wir an, du fokussierst dich auf Recruiting. Schau dir an, was du mit Process Automation erreichen kannst, und starte mit diesem Bereich.
Zweitens: Hol dir einen Zugang zur SAP BTP, der in einer kostenlosen Version verfügbar ist. So kannst du mit Process Automation experimentieren. Außerdem empfehle ich, an einem Hackathon teilzunehmen, entweder von SAP oder einem SAP-Partner. Dadurch kannst du praktische Erfahrungen sammeln und von der Theorie zur Praxis wechseln. Es ist etwas anderes, einen RPA selbst zu erstellen, als nur bei YouTube zuzuschauen.
Ein weiterer Tipp: Bevor du etwas automatisierst, erstelle eine Liste, woher die Daten kommen – aus E-Mails, Excel oder von einer Website – und wo sie hinmüssen. Das hilft, die nötigen Schnittstellen zu identifizieren. Und schließlich: Skizziere den Prozess im Detail. Wer genehmigt was? Wer übernimmt welche Aufgaben? Das muss nicht gleich mit professionellen Tools geschehen, es reicht am Anfang auch eine einfache Skizze. Der Überblick ist das Wichtigste, bevor du loslegst.
Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt: Dein Team. Wenn du ein Team hast, das die Automatisierung als Mehrwert für das Unternehmen versteht und motiviert ist, das Ziel zu erreichen, dann wird das Projekt erfolgreich. Die Mentalität und der Wille deines Teams sind bei solchen Projekten entscheidend.
Michael Scheffler:
Vielen Dank, Jonas. Dein Ansatz, lieber klein zu starten und sich Schritt für Schritt komplexeren Prozessen zu widmen, ist ein sehr guter Tipp. Danke, dass du hier warst und diese wertvollen Einblicke mit uns geteilt hast. Ich hoffe, wir holen das bald wieder nach.
Jonas Germann:
Danke für die Einladung, Michael. Ich wünsche dir und allen Zuhörern viel Spaß und Erfolg bei der Automatisierung - im HR und darüber hinaus. Danke, dass ich dabei sein durfte.