

Pflicht oder Chance?
Barrierefreie Karriereseiten
Author: André Hussock 22. Mai 2025 Webdesign
Inhalt:
- Rechtliche Rahmenbedingungen: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
- Der Stand der digitalen Barrierefreiheit – ein weltweites Defizit
- Wenn digitale Barrierefreiheit zur Karriereschwelle wird
- Barrierefreie Karriereseiten – ein Muss für moderne Arbeitgeber
- Fazit: Wer Bewerbungen ermöglichen will, muss Zugänge schaffen
Das Internet ist heute für viele Menschen der erste – und oft einzige – Zugang zu Informationen, Dienstleistungen und sozialer Teilhabe. Ob für Bankgeschäfte, Terminbuchungen, Weiterbildung oder Bewerbungen: Digitale Angebote prägen unseren Alltag. Doch nicht alle Menschen können sie gleichberechtigt nutzen.
Rund eine Milliarde Menschen weltweit leben mit einer Behinderung – allein in Deutschland sind es über 7,8 Millionen Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung. Hinzu kommen ältere Menschen, Personen mit temporären Einschränkungen oder chronischen Erkrankungen. Für sie stellt das Internet nicht nur eine Möglichkeit, sondern oft auch eine Herausforderung dar: Viele Webseiten sind nicht barrierefrei gestaltet. Fehlende Alternativtexte, unlesbare Kontraste, nicht bedienbare Formulare oder unklare Strukturen machen Inhalte schwer oder gar nicht zugänglich.
Dabei bedeutet Barrierefreiheit im digitalen Raum nicht, auf Gestaltung oder Funktionalität zu verzichten – im Gegenteil: Sie steht für durchdachtes Design, inklusive Kommunikation und mehr Nutzerfreundlichkeit für alle. Eine barrierefreie Website berücksichtigt unterschiedliche Bedürfnisse und ermöglicht es Menschen, unabhängig von ihren Einschränkungen, gleichberechtigt zu partizipieren.
Rechtliche Rahmenbedingungen: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
Ein zusätzlicher Handlungsdruck ergibt sich durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das in Deutschland die EU-Richtlinie zum European Accessibility Act umsetzt. Ab dem 28. Juni 2025 müssen auch viele privatwirtschaftliche Unternehmen sicherstellen, dass ihre digitalen Angebote barrierefrei gestaltet sind – darunter fallen unter anderem elektronischer Geschäftsverkehr, Bankdienstleistungen, Online-Shops, E-Commerce-Plattformen und Personenbeförderungsdienste.
Zwar sind Karriereseiten und Bewerbungsformulare aktuell nicht direkt vom BFSG betroffen, doch das Gesetz ist für viele Unternehmen ein Anlass, ihre gesamte digitale Präsenz kritisch zu hinterfragen – insbesondere dort, wo Barrieren den Zugang zu Chancen erschweren. Wer sich als moderner und verantwortungsvoller Arbeitgeber positionieren möchte, sollte Barrierefreiheit im Recruiting nicht nur als rechtliche Option, sondern als strategische Entscheidung verstehen.
Der Stand der digitalen Barrierefreiheit – ein weltweites Defizit
Die weltweite Barrierefreiheit von Webseiten ist nach wie vor unzureichend. Eine Studie von WebAIM, die eine Million Webseiten untersucht hat, ergab, dass pro Seite durchschnittlich 56,8 Fehler gefunden wurden – eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Diese Fehler betreffen meist grundlegende Anforderungen der WCAG 2.2 Level A/AA und haben direkte Auswirkungen auf die Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen.
Ein weiterer Faktor ist die wachsende Komplexität moderner Webseiten: Die durchschnittliche Anzahl an Seitenelementen auf Homepages ist innerhalb eines Jahres um 11,8 % gestiegen. Dabei wiesen 4,8 % aller untersuchten Elemente einen Zugänglichkeitsfehler auf. Nutzer:innen mit Behinderungen müssen also davon ausgehen, dass etwa jedes 21. Element potenziell unzugänglich ist.
Obwohl in vielen Ländern gesetzliche Anforderungen bestehen – etwa die EU-Richtlinie 2016/2102 für öffentliche Stellen oder der Americans with Disabilities Act (ADA) in den USA – ist die praktische Umsetzung häufig lückenhaft. Nur etwa 2 % der US-Webseiten gelten als vollständig barrierefrei. Auch in Europa bestehen noch erhebliche Defizite.
Besonders häufig treten folgende Barrieren auf:
- 81 % der Seiten haben zu geringe Farbkontraste,
- 54,5 % verzichten auf Alt-Texte für Bilder,
- 48,6 % haben unzureichende Formularbeschriftungen,
- 44,6 % enthalten fehlerhafte oder leere Links,
- und viele Webseiten sind nicht vollständig per Tastatur bedienbar – ein großes Hindernis für Menschen mit motorischen Einschränkungen.
Wenn digitale Barrierefreiheit zur Karriereschwelle wird
Besonders deutlich wird diese Problematik im Kontext von Karriereseiten und Online-Bewerbungen. Wer sich heute beruflich verändern will, startet fast immer digital – über Jobportale, Karriereseiten und Online-Formulare. Doch genau hier entstehen oft neue Hürden, die gut qualifizierte Menschen ausschließen.
Blinde oder sehbehinderte Nutzer:innen scheitern an unbeschrifteten Buttons oder nicht strukturierten Formularfeldern. Menschen mit motorischen Einschränkungen kommen nicht ohne Maus durch die Navigation. Und wer eine kognitive Beeinträchtigung hat, wird von komplexen Layouts oder unverständlichen Texten schnell abgeschreckt.
So wird aus einer Karrierechance eine Barriere. Der Zugang zu beruflicher Teilhabe bleibt vielen verwehrt – nicht weil sie ungeeignet wären, sondern weil sie systematisch ausgeschlossen werden. Und das oft bereits beim ersten Eindruck: der Karriereseite.
Barrierefreie Karriereseiten – ein Muss für moderne Arbeitgeber
Ein barrierefreier Recruiting-Prozess beginnt dort, wo potenzielle Bewerber:innen ihren ersten Eindruck gewinnen - auf der Karriereseite. Ist diese nicht barrierefrei, entsteht bereits in der Orientierungsphase ein Ausgrenzungsmoment. Dabei geht es nicht nur um rechtliche Konformität, sondern vor allem um Haltung: Wer Vielfalt fördern will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen.
Dabei profitieren nicht nur Menschen mit Behinderungen von einer Gleichstellung im Bewerbungsprozess, sondern auch alle anderen Bewerber:innen von einer klaren Navigation, verständlichen Inhalten und einer positiven Nutzererfahrung. Zudem zahlen barrierefreie Bewerbungsprozesse direkt auf zentrale HR-Ziele ein: Sie verbessern das Employer Branding, erweitern die potenzielle Zielgruppe und zeigen, dass Inklusion und Diversität im Unternehmen gelebt werden. Gerade im Wettbewerb um Talente kann das den entscheidenden Unterschied machen.
Unternehmen, die es ernst meinen mit Inklusion, Diversity und Chancengleichheit, müssen genau hier ansetzen. Eine barrierefreie Karriereseite ist mehr als ein technischer Standard – sie ist ein klares Signal: Du bist willkommen. Wir sehen dich. Wir denken dich mit.
Das betrifft:
- die Zugänglichkeit von Stellenausschreibungen,
- bedienbare Bewerbungsformulare,
- klare, verständliche Inhalte,
- und die Kompatibilität mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Sprachausgaben.
Kurzum: Barrierefreie Karriereseiten sind kein „Nice-to-have“, sondern ein entscheidender Baustein für moderne, inklusive und zukunftsorientierte Unternehmen. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, demografischem Wandel und steigenden Diversity-Anforderungen kann es sich kein Unternehmen leisten, Menschen auszuschließen, die mit ihren Erfahrungen, Perspektiven und Potenzialen einen wertvollen Beitrag leisten könnten.
Fazit: Wer Bewerbungen ermöglichen will, muss Zugänge schaffen
Digitale Barrierefreiheit ist längst kein Randthema mehr - sie entwickelt sich immer mehr zu einem zentralen Qualitätsmerkmal moderner Unternehmen. Wer heute die eigenen Bewerbungsprozesse kritisch hinterfragt und gezielt barrierefreie Strukturen schafft, geht einen wichtigen Schritt in Richtung Fairness, Inklusion und Professionalität.
Auch wenn Karriereseiten nicht explizit vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erfasst sind, zeigt die Gesetzesänderung klar die Richtung: Digitale Barrierefreiheit wird zum Standard. Unternehmen haben jetzt die Chance, mit gutem Beispiel voranzugehen und aktiv zu zeigen, dass sie alle Talente erreichen wollen - unabhängig von individuellen Einschränkungen. Barrierefreie Karriereseiten schaffen mehr als nur Rechtssicherheit - sie senden ein starkes Signal nach außen, stärken das Employer Branding und machen Bewerbungsprozesse für alle fairer, zugänglicher und zeitgemäßer.
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