Während die Privatwirtschaft die digitale Transformation bereits weit vorangetrieben hat, sieht sich der öffentliche Sektor mit ganz eigenen Herausforderungen konfrontiert: Von der Gewinnung und Bindung qualifizierter Fachkräfte über die Modernisierung von Verwaltungssystemen bis hin zur Anpassung an rechtliche Vorgaben und demografische Veränderungen – der Weg in eine digitale Zukunft ist komplex. Vor diesem Hintergrund diskutieren p78 Geschäftsführer Michael Scheffler und sein Gast, Johannes Rosenboom, Senior Vice President bei der Materna SE, welche spezifischen Herausforderungen auf das Personalmanagement im Öffentlichen Dienst warten.
Ergänzende Informationen zu dieser Episode:
- Materna im Public Sector: www.materna.de/Microsite/Public-Sector/DE/Home/home_node.html
- Materna Pressemitteilung, „Neue Ära der digitalen Verwaltung durch Materna und Aleph Alpha“
- „Materna Artikel, „Künstliche Intelligenz erfolgreich in der Verwaltung einführen“
- HR/IT Talk Podcastfolge #50 „Migration nach SAP HCM for S/4HANA”
- p78 SuccessStory zum Thema Barrierefreiheit: „Entwicklung des barrierefreien Personalwirtschaftssystems my.NRW im SAP ERP HCM auf Basis SAP Fiori“
Das Interview zum Nachlesen
Michael Scheffler
Servus Johannes, willkommen bei HR IT Talk. Schön, dass du es zeitlich einrichten konntest und heute bei mir zu Gast bist. Kannst du dich bitte im ersten Schritt unseren Hörerinnen und Hörern persönlich vorstellen? Wo arbeitest du und in welcher Funktion?
Johannes Rosenboom
Ja, Michael, besten Dank erstmal für die Einladung. Kurz und knapp, mein Name ist Johannes Rosenbrum. Ich bin bei der Materna als Senior Vice President für den Public Sector Markt zuständig, sprich Themen wie Vertrieb, Marketing, Bidmanagement, Geschäftsfeldentwicklung – das liegt alles bei mir.
Kurz vielleicht was zu mir: Ich bin von Hause aus Verwaltungswissenschaftler von der Universität Konstanz. Hört sich erstmal etwas gruselig an, dieser Name, ist aber ein sehr interessanter Studiengang, der sich spezialisiert hat, die öffentliche Verwaltung in ihren ganzen Mechanismen zu beleuchten.
Danach war ich bei diversen, größeren internationalen IT-Companies wie Oracle und Microsoft. Ich bin jetzt seit acht Jahren in der eben erwähnten Position bei der Materna. Heißt, ich beschäftige mich schon mein ganzes Berufsleben mit dieser sehr spannenden Branche, der öffentlichen Verwaltung.
Michael Scheffler
Du hast es auch eben schon erwähnt, du bist bei unserer Muttergesellschaft, der Materna Information & Communications SE aus Dortmund beschäftigt. Kannst du uns einen kleinen Überblick über Materna und die Gruppe geben? Du hast schon ein paar Sachen erwähnt, aber was zeichnet denn das Unternehmen aus? Welche Dienstleistungen bietet ihr an, und in welchen Bereichen seid ihr sonst noch unterwegs?
Johannes Rosenboom
Ich fange vielleicht mal mit der Inhaberstruktur an, weil das ist sicherlich eines der großen Kennzeichen von Materna. Wir sind, was in dieser Branche eher selten ist, bis heute zu 100 Prozent in Privatbesitz der beiden Gründerfamilien, die bei uns im Aufsichtsrat sitzen. Und das ist deswegen ganz interessant, also keinerlei Investoren drin. Das macht natürlich die Entscheidungen sehr autark, die wir als Firma, als Konzern, treffen können. Wir sind mittlerweile weltweit aktiv, mit allen Tochterunternehmen, wo ja auch ihr dazugehört, auf die 5.000 Mitarbeitenden zu, verteilt auf über 40 Standorte. Im Kern kann man sagen, dass die Materna vor allen Dingen innovative IT- und Digitalisierungsprojekte für eine Vielzahl von Kunden aus allen unterschiedlichen Branchen, wie Industrie, Mittelstand, aber eben auch die öffentliche Verwaltung, realisiert, und das eben schon seit 40 Jahren – und das sehr erfolgreich. Dort gibt es verschiedenste Themen, ob das Dienstleistungen, Lösungsszenarien, Plattform-Integration oder Standardsoftware wie SAP, ServiceNow oder BMC sind, bis hin zu sehr spezifischen Fachverfahrensentwicklungen für große Kunden mit sehr speziellen Anforderungen. Wir greifen uns Technologien und veredeln diese zu individuellen Lösungen.
Da spielen natürlich auch Querschnittsthemen hinein, ob das KI, Cyber Security oder föderale Datenhäuser sind – also ein unheimlich breites Portfolio. Und das macht uns seit 40 Jahren sehr erfolgreich. Wir gehören zu den Top-Arbeitgebern in der IT-Branche in Deutschland und performen regelmäßig besser als der Markt. Das Spannende ist, dass Materna bis heute den kulturellen Fit eines familiengeführten Unternehmens sehr gut erhalten hat, was in unserer Branche eher untypisch ist.
Der Öffentliche Dienst: Eine vielschichtige Branche
Michael Scheffler
Vielen Dank für diesen Überblick. Bevor wir nun inhaltlich im Detail über das eigentliche Thema von heute sprechen, nämlich die Herausforderungen für das Personalwesen im öffentlichen Dienst, kannst du unseren Hörerinnen und Hörern nochmal einen Überblick über diesen Sektor und dessen Behörden geben? Ich muss jetzt sagen, ich selbst komme eigentlich ursprünglich aus dem öffentlichen Dienst, habe auch mal irgendwann in der "Kreidezeit" dort eine Ausbildung abgeschlossen und ein paar Jahre in der Anwendungsentwicklung gearbeitet. Aber der öffentliche Dienst ist ja ein sehr breites Feld, hat eine breite Palette von Aufgaben und Dienstleistungen, die da erbracht werden. Und ja, insofern glaube ich, ist das für den einen oder anderen nochmal interessant, das von dir ein bisschen sortiert zu bekommen.
Johannes Rosenboom
Ja, Michael, du hast es ja in deiner Frage schon angeteasert. Landläufig kann man immer sagen, ach ja, öffentlicher Dienst, gleich öffentlicher Dienst – ist ja alles das Gleiche. Wenn man tiefer in diese sehr große Branche hineinschaut, haben wir erstmal klassisch die drei Gebietskörperschaften, wie man das nennt, nämlich Bund, Länder, Kommunen, mit ihren Verwaltungsspezialitäten. Ein Bundesministerium hat einen nachgeordneten Bereich, also spezialisierte Bundesbehörden. Wenn wir uns das Beispiel Verkehrsministerium ansehen, hat man den Straßenbereich, den Flugbereich, Schienenverkehr, bis hin zu hochspezialisierten Behörden wie den Deutschen Wetterdienst, die, ich sage es mal, das Wetter machen, das wir dann abends in der Tagesschau sehen. So kann man sich das auch auf Länderebene vorstellen.
Auf Länderebene sind maßgeblich die großen Verwaltungsbereiche wie Bildung, alles, was mit Schulwesen zu tun hat, Universitätswesen, Polizeibereich, Justizbereich und der gesamte Steuerbereich. In den Gemeinden wird es dann in Bürgernähe immer spezialisierter – von Jugend- und Sozialarbeit über Friedhofsverwaltung bis zur Eintreibung der Hundesteuer und städtische Eigenbetriebe. Wenn man das weiter betrachtet, gehören auch die großen Sozialversicherungsträger zum öffentlichen Sektor, wie die Bundesagentur für Arbeit, gesetzliche Krankenversicherungen, Rentenversicherung und natürlich der Verteidigungsbereich, der derzeit in aller Munde ist.
Also, wie du siehst, ist das ein sehr großer Bereich, auch von den Zahlen her, der inhaltlich sehr ausdifferenziert ist. Genau da setzen unsere Lösungen an, eben nicht "von der Stange", sondern mit maßgeschneiderten, fachlich orientierten Lösungen. Vielleicht kann man es gut abschließend sagen: Wir sprechen immer über "die öffentliche Verwaltung", aber wenn du dir ein Bundesverteidigungsministerium ansiehst und am anderen Ende des Kontinuums eine Friedhofsverwaltung in einer Stadt wie Bonn, aus der ich stamme, sieht man die inhaltliche Breite dieses Sektors.
Herausforderungen im öffentlichen Dienst: Demografie, Digitalisierung und Personalentwicklung
Michael Scheffler
Danke für diese Erläuterungen. Insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass die öffentliche Verwaltung mit einem Haushalt von einer Billion Euro plus extra Haushalten von etwa 800 Milliarden Euro der größte Einzelnachfrager in Deutschland ist. Das sind beeindruckende Zahlen. Gut, dann lass uns bitte zum Thema kommen. Beginnen möchte ich mit einer etwas allgemeineren Frage an dich: Welche Herausforderungen im Personalwesen siehst du für den öffentlichen Dienst?
Johannes Rosenboom
Die Herausforderungen sind vielfältig. Da gibt es sicherlich zwei, drei Punkte, die hervorstechen, auf die wir im Verlauf noch tiefer eingehen können. Überblicksartig würde ich jetzt folgende Themen nennen: Ganz vorne steht der demografische Wandel und der damit verbundene Fachkräftemangel. Inzwischen kann man für den öffentlichen Dienst sagen, dass es sich eher um einen generellen "Kräftemangel" handelt – nicht nur für hochspezialisierte IT-Administratoren oder Fachbeamte im Kommunalbereich. Es fehlen auch allgemeine Kräfte – vom Straßenbahnfahrer bis hin zu Mitarbeitenden in öffentlichen Krankenhäusern. Das ist sicherlich einer der Top-Punkte. Ein zweiter Punkt ist der technologische Wandel, insbesondere die Digitalisierung der Verwaltung. Die Verwaltung geht mit Steuergeldern um, und als Steuerzahler möchte ich nicht, dass dort irgendetwas Unausgereiftes ausprobiert wird, nur weil große amerikanische Konzerne ein neues Gadget anpreisen. Es braucht einen verantwortungsvollen Umgang mit Geldern und Inhalten, da wir es mit sensiblen Daten zu tun haben – sei es im Bereich der Krankenversicherungen oder bei allgemeinen Bürgerdaten.
Der öffentliche Dienst steht vor der Herausforderung, dass es aufgrund der föderalen Strukturen und der hohen Spezialisierung sehr schwer ist, eine One-Size-Fits-All-Lösung einzuführen. Unterschiedliche Verwaltungsdisziplinen in Kommunen, Ländern und dem Bund haben teils sehr spezielle Anforderungen, sodass der Traum einer einheitlichen Lösung trotz aller Bemühungen um Standardisierung und Automatisierung schwer umsetzbar ist. Zudem gibt es in der öffentlichen Verwaltung, wie auch in der Privatwirtschaft, Veränderungen in der Arbeitswelt – New Work, Flexibilisierung, vier-Tage-Woche, Work-Life-Balance, Homeoffice, agile Arbeitsmethoden. All das findet auch im öffentlichen Dienst statt, jedoch immer im Korsett von Gesetzen und Verordnungen. Verwaltungen handeln nie frei, sondern immer auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben. Und das ist ein Hauptunterschied zur Industrie.
Dann, anderer Punkt, Attraktivität als Arbeitgeber. Auch das sehen wir natürlich in der Industrie, in leergefegten Arbeitsmärkten. Du musst dich attraktiv machen und da reicht eben nicht mehr der Obstkorb oder die vielleicht Flexibilisierung, dass man sagt, ich kann auch um 9 Uhr kommen. Und es geht natürlich weit, weit darüber hinaus, also Stichwort Employer Branding. Da hat der öffentliche Dienst landläufig, sicherlich in dicken Anführungen, ein etwas verstaubtes Image, überbürokratisiert und gilt nicht gerade bei jungen Mitarbeitenden als der attraktive Arbeitgeber. Und hier spielt Employer Branding sicherlich eine zentrale Rolle, also auch den öffentlichen Dienst als modern, innovativ und vor allen Dingen neudeutsch "Purpose", sinnstiftenden Arbeitgeber, in den leergefegten Arbeitsmärkten wettbewerbsfähig zu positionieren.
Und das sind natürlich Verbesserungen der Karrieremöglichkeiten, attraktive Arbeitsbedingungen, das aber immer in dem Korridor von vorgegebenen Beamten- oder öffentlichen Dienst rechtlichen Vorgaben. Also so ganz frei, wie wir das vielleicht in der Industrie machen können, kann die öffentliche Verwaltung da nicht agieren. Dann, ich habe es eben schon erwähnt, öffentliche Verwaltung, hohe rechtliche Anforderungen, sehr hohe gesetzliche Vorgaben, die eingehalten werden müssen. Also, wir erinnern uns an das Datenschutzgesetz DSGVO, gilt auch für die Industrie, gilt aber ganz besonders natürlich durch den Umgang mit vielen sensiblen Daten für den öffentlichen Dienst. Ich mache ein Beispiel: Natürlich haben Public Clouds und Hyperscaler immense Vorteile. Aber seien wir ehrlich, ich möchte auch nicht als Bürger, dass meine sensiblen Daten irgendwo in den USA, in China, wo auch immer, umherfliegen – gerade nicht in heutigen Zeiten, wenn wir uns leider die Krisen in dieser Welt angucken.
Was auf den ersten Punkt einzahlt, Demografie, ist dann die ganze Personalentwicklung, nächstes großes Thema. Wie kriege ich den "Brain Drain" der nächsten Jahre, viele, viele demografische Abgänge? Wie kriege ich das in einem Wissensmanagement persistiert, wie halte ich es in der Organisation und wie kann ich vor allen Dingen neuen, jüngeren Mitarbeitenden eine Personalentwicklung in Aussicht stellen, die mich attraktiv macht, die die Qualifikationen und die Fähigkeiten hochhält? Das darf man auch nicht vergessen. Wir schimpfen manchmal sehr schnell über die öffentliche Verwaltung, aber wenn man dort reinschaut, der Druck der Anpassung – immer schneller, immer mehr Gesetzesänderungen in der Verwaltung umzusetzen – fließt in Verwaltungshandeln, die dann zum Bürger oder zum Unternehmen fließen. Und das mit immer weniger Personal ist eine unheimliche Adaptionskraft für die öffentliche Verwaltung, die ihresgleichen sucht.
Andere Themen sind Diversität und Inklusion. Natürlich in einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung, aber auch hier, um dieses Arbeitskräftepotenzial zu heben, ist der öffentliche Dienst bei seinen Rekrutierungsstrategien und in seinem Schaffen von Arbeitsumfeldern darauf angewiesen, auch diese Talente anzusprechen, in den öffentlichen Dienst zu holen und dort eine adäquate Arbeitsumgebung zu schaffen. Noch einmal: Das ist nicht nur die gesetzliche Vorgabe und der schwerbehinderten Beauftragte, der nach diesen Punkten schaut, sondern es ist auch ganz pragmatisch, diese Talente als Arbeitskräfte zu gewinnen. Dann unterliegt der öffentliche Dienst, wie vorhin gesagt, vielen internen Vorgaben und Prozessen, die es nicht immer ganz einfach machen.
Darin muss sich der öffentliche Dienst aber bewegen können, und das gilt natürlich auch für die Personalabteilungen, wo ich eben nicht immer alles mal eben so umsetzen kann – nicht jede Innovation, die wahrscheinlich toll ist, mal eben so im öffentlichen Dienst einführen kann. Auch da spielen wieder gesetzliche Vorgaben und spezielle Anforderungen eine Rolle, da können wir agieren. Das Gleiche wie bei uns in der Industrie, siehe Demografie, so genanntes "Succession Planning". Also wie fange ich frühzeitig an, Nachfolgeplanungen aufzusetzen? Wie kann ich Führungskräfte aus dem eigenen "Britt" entwickeln? Auch da steht der öffentliche Dienst natürlich, wie auch wir in der Privatwirtschaft, vor den gleichen Herausforderungen. Dass sich auch über die Generationen hinweg die Einstellung zur Karrierearbeit – will ich überhaupt noch Verantwortung übernehmen – geändert hat. Und auch da muss man sicherlich frühzeitig in andere und neue Kompetenzen im Personalstand einarbeiten.
Dann, wir haben es erlebt: die Corona-Pandemie. Wir erleben es heute leider in Zeiten eines Angriffskrieges mitten in Europa. Was wir vielleicht lange Zeit unterschätzt haben, ist die Rückkehr der Krisen. Das bedeutet gerade für die öffentliche Verwaltung eine hohe Anpassungsfähigkeit. Wir würden auf Deutsch sagen: "Time to market". Corona hat es, glaube ich, sehr schön gezeigt. Am Anfang der Corona-Krise waren Themen wie Homeoffice eher selten in der öffentlichen Verwaltung. Da hat aber die öffentliche Verwaltung gezeigt, dass sie unter so einer Krise relativ schnell reagieren kann. Und hat, was ich so überblicke, in den allermeisten Behörden das hinbekommen, zigtausende Beschäftigte mit allen Prozessen, mit aller Ausstattung eben auch ins Homeoffice zu verlagern. Das als ein Beispiel: Da hat sich bei allem Gemecker über die öffentliche Verwaltung gezeigt, ich würde das nennen, Verwaltung kann Krise, wenn es drauf ankommt.
Man könnte böse sagen: Verwaltung wird dann agiler und effizienter, wenn sie muss und unter Druck gerät. Aber wir sehen es auch in anderen Bereichen, wie wichtig eine funktionierende staatliche Verwaltung ist, weil sie letztendlich natürlich auch eine tragende Säule, ja, ich sage es mal so, etwas poetisch für unser Zusammenleben, für unsere Demokratie ist. Das sieht man sehr schön in Ländern, wo öffentliche Verwaltungstrukturen zusammenbrechen, wo dann sehr schnell Chaos, um nicht zu sagen, Anarchie herrscht. Ja, also das ist mal so im Schnelldurchlauf, es gibt sicherlich noch das eine oder andere, was man erwähnen könnte. Das sind so die Toppunkte, und da stechen sicherlich die einen oder anderen ganz besonders hervor.
Demografischer Wandel: Der größte Handlungsdruck im öffentlichen Dienst
Michael Scheffler
Große Herausforderungen für den öffentlichen Dienst, danke für diesen umfassenden Überblick, Johannes. Was denkst du oder was ist deine Einschätzung? Welche dieser Themen ist denn am schwierigsten zu bewältigen für den Public Sector?
Johannes Rosenboom
Also das ist ganz ohne Zweifel die Demografie. Das gilt natürlich für alle Branchen. Der öffentliche Dienst hat deswegen eine besondere Herausforderung, wenn man sich den sogenannten Altersbaum ansieht, ist der öffentliche Dienst ein Stück weit noch mehr betroffen, als es im Durchschnitt anderer Branchen der Fall ist. Das heißt, der Baum ab 50, 55 aufwärts wird bildlich gesprochen in der öffentlichen Verwaltung oben dicker, ausladender. Es gibt seriöse Untersuchungen, die sagen, von den derzeit ca. 5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst – also weit gedacht inklusive der Lehrer, inklusive der öffentlichen Krankenhausangestellten bis hin zur Kernverwaltung – dass bis zum Ende dieses Jahrzehnts, also 2029, 2030, ca. 30% der öffentlichen Dienstbeschäftigten in Pension bzw. Rente gehen.
So, jetzt könnte man sagen, ach Gottchen, 30%. Das müssen wir irgendwie wuppen, da müssen wir halt mehr nachordern, Neueinstellungen machen. Das funktioniert aber auch nicht. A. Sind die Arbeitsmärkte leergefegt. B. Haben wir eben über das Thema Employer Branding gesprochen, wo der öffentliche Dienst auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen im Nachteil ist und nicht unbedingt wettbewerbsfähig mit vergleichbaren Gehältern ist. Der öffentliche Dienst muss natürlich auch einsparen. Das heißt, nicht mehr alle Planstellen werden nachbesetzt. Das bedeutet unterm Strich trotz Neueinstellungen ein immenser Aderlass. Und nicht nur ein Aderlass an Menschen, an Köpfen, sondern auch ein sogenannter Brain-Drain, wo unheimlich viel Wissen verloren geht. Und das wird die Kunst sein, diese Lücke irgendwie zu schließen.
Wir werden sicherlich gleich in der Folge darüber sprechen, was es da für digitale Instrumente gäbe. Aber um das nochmal zu betonen: Wir reden hier nicht nur über den hoch spezialisierten IT-Administrator. Das betrifft auch Ingenieure. Wir sehen das bei den ganzen Planungsvorhaben. Die Infrastruktur muss dringend saniert werden in Deutschland – Stichwort Brücken, Stichwort Straßen, und so weiter. Viele Planungsprozesse laufen auch deswegen so schleppend, nicht nur weil es hier und da überbürokratisiert ist, sondern weil ganz schlicht und einfach die Ingenieurinnen inzwischen fehlen. Die Architekten, die Fachplaner im öffentlichen Bereich. Das Gleiche gilt fürs Gesundheitswesen – das haben wir während Corona erlebt. Es gilt auch in der Bildung – wer Kinder hat, kennt die Schulstundenausfälle, nicht zuletzt auch deswegen. Es fehlen ganz schlicht und einfach Lehrer. Es fehlen ganz schlicht und einfach Kindergärtnerinnen. Und das ist ein gigantisches Problem, das Topproblem für den öffentlichen Dienst.
Und damit, um es auf die Metaebene zu bringen, sicherlich auch für unser Staatswesen insgesamt, weil wir als Bürger*innen natürlich auf der einen Seite den Anspruch haben können, dass das Staatswesen funktionieren muss. Aber wir es ja auch brauchen. Die Daseinsvorsorge soll ja bitte schön funktionieren. Nur wenn die Daseinsvorsorge zunehmend unter Druck gerät, weil schlicht und einfach nicht mehr genug Beschäftigte da sind, dann merken wir es eben, dass die S-Bahn nicht mehr pünktlich und nicht mehr regelmäßig fährt, nicht nur weil die Schienen kaputt sind, sondern weil ganz schlicht und einfach keine Straßenbahnfahrer mehr da sind. Das ist sicherlich das Top-Top-Problem, weil es eben auch auf viele andere Punkte ausstrahlt, die ich eben genannt habe.
Im Kern ist der demografische Wandel, der Verlust an Beschäftigten, das größte Problem, und um das vielleicht noch abzuschließen, das spitzt sich noch mehr zu.
Ich habe mir das im Vorfeld nochmal angeschaut. Diese 30%, die ich eben genannt habe an Arbeitskräften im Public Sector, ist die allgemein übergreifende Zahl. Es gibt dann quasi Unterdisziplinen in der öffentlichen Verwaltung, die noch stärker betroffen sind. Mir ist ein Beispiel aus der Justizverwaltung in Ostdeutschland im Kopf hängen geblieben. Da gehen in den nächsten Jahren sogar 50% in Rente, weil in der Justizverwaltung in Ostdeutschland der Altersbaum noch ausgeprägter ist. Und dann braucht man wenig Fantasie, um sich auszumalen, was das bedeutet. Ganz schlicht und einfach wird die Gerichtsbarkeit von ihrer Umsetzungskraft her, weil einfach Menschen fehlen, noch mehr in Verzug geraten, und alle Prozesse und Entscheidungen werden noch viel länger dauern.
Arbeitgeberattraktivität durch Sinnhaftigkeit und Arbeitsplatzsicherheit
Michael Scheffler
Ich Stimme dir absolut zu. Der Fachkräftemangel ist natürlich eine enorme Herausforderung für alle Branchen und insbesondere für den öffentlichen Dienst. Man kennt das aus der eigenen Lebenswirklichkeit. Du hast so ein paar Stichworte genannt – Kita, Schule, Deutsche Bahn.
Da kennt man ja selbst die Herausforderungen aus dem täglichen Leben.
Ja, wir haben jetzt viel über Herausforderungen gesprochen. Wie kann es denn den HR-Abteilungen und den entsprechenden Entscheidungsträgern dennoch gelingen, die richtigen Mitarbeitenden zu finden? Mit anderen Worten, was spricht denn für den ÖD als Arbeitgeber?
Johannes Rosenboom
Das ist ganz interessant. Wir haben ja eben über Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität gesprochen. Und wenn wir beide jetzt rausgehen – du in München, ich in Bonn – und eine anonyme Umfrage machen würden, viele würden erst einmal sagen: „Öffentlicher Dienst, Beamtendreikampf, wer sich zuerst bewegt, verliert“, all diese Vorurteile. Erstmal schwierig. Interessant ist aber: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das Gehaltsniveau im öffentlichen Dienst stellenweise besser ist, als gedacht.
Wir haben das gesehen – auch völlig zu Recht – durch signifikante Gehaltsanhebungen für Pflegekräfte, und so weiter. Ich weiß, das ist immer relativ und liegt im Auge des Betrachters.
Der öffentliche Dienst hat natürlich viele Segnungen in Anführungsstrichen, wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist sicherlich wettbewerbsfähig. Auch eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit – man kann heute vielleicht den Kopf über dieses Argument schütteln, aber wenn wir zehn Jahre zurückdenken, mit deutlich höheren Arbeitslosenzahlen, waren viele Jobs in der Industrie unsicherer, nicht alle, aber einige. Das kennt der öffentliche Dienst so natürlich nicht. Und hochinteressant – und das spricht besonders jüngere Menschen an – wir nennen das ja Neu-Deutsch "Purpose". Also, ich möchte etwas Sinnhaftes tun, idealerweise etwas Gutes für die Gesellschaft. Und da kann der öffentliche Dienst natürlich unheimlich punkten.
Das zeigen auch Studien, dass der öffentliche Dienst für junge Bewerber*innen interessant ist, die sagen: „Ja, ich verzichte auf das ein oder andere, aber ich habe hier eine sinnstiftende Tätigkeit, bei der ich zum Beispiel in tollen Digitalisierungsprojekten bei einer Behörde etwas Gutes für die Gesellschaft tun kann.“ Und das ist sicherlich ein Punkt, den der öffentliche Dienst noch viel mehr in den Vordergrund stellen müsste, weil das natürlich den Zeitgeist der Generation Z und anderer trifft, die heute sagen: „Natürlich möchte ich gutes Geld verdienen, natürlich möchte ich alle möglichen Vorteile haben, aber mir ist ganz wichtig, dass ich etwas Sinnstiftendes tue.“
Digitalisierung als Schlüssel zur Effizienz: Automatisierung im öffentlichen Dienst
Michael Scheffler
Nichtsdestotrotz muss der öffentliche Dienst sicherlich auch anderweitig reagieren und technologische Herausforderungen angehen, wie die Digitalisierung, die du auch schon kurz erwähnt hattest. Wie schätzt du dieses Themenfeld ein?
Johannes Rosenboom
Das ist ganz wichtig. Wir können jetzt alles Mögliche besprechen – vom Arbeitgeberbranding bis zu „Gehalt ist vielleicht doch gar nicht so schlecht“. Am Ende des Tages geht es aber nur über Automatisierung und Digitalisierung. Man nennt das das „Heben der digitalen Rendite“. Also was heute vieles noch händisch läuft – auf Papier, vielleicht hier mal ein Excel-Sheet – das kann ich unter dem demografischen Druck auf Dauer so nicht mehr machen. Das heißt, es muss eine umfassende Ende-zu-Ende-Digitalisierung stattfinden, die ja auch durch das OZG Online-Zugangs-Gesetz beispielsweise schon angestoßen worden ist.
Also was heißt Ende-zu-Ende aus Verwaltungssicht über alle Prozessschritte vom Frontend (Bürger und Unternehmen) bis hin zum Backend, also Fachverfahren der öffentlichen Verwaltung, bis hin zu querschnittlichen Verfahren wie einer E-Akte, einem Register – muss ich das durchgängig digitalisieren. A. Um schneller zu werden. B. Um natürlich auch der Erwartungshaltung der Bürger und Unternehmen zu entsprechen. Aber C. Wenn wir an unser Thema denken, um selber Entlastung für die Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst hinzubekommen. Also nochmal, Stichwort Demografie: Die nächsten 30 Prozent, die nicht ersetzt werden können, zu weiten Teilen. Also bleibt nur noch die Digitalisierung, und ich mache Kapazitäten frei, um mich um andere Sachen kümmern zu können, weil die Aufgaben ja weiter wachsen für den öffentlichen Dienst.
Das gilt sicherlich auch für alle Bereiche in der öffentlichen Verwaltung, aber ganz besonders für die Personalverwaltung, von Hiring über Recruiting über Onboarding bis hin zu Business Management, wenn ältere Mitarbeitende ausscheiden. Auch da müssen Prozesse, administrative Prozesse, durchgängig digitalisiert werden, um sie effizienter und schneller zu gestalten. Da spielen natürlich HR-Standard-Software-Lösungen eine große Rolle, die dann natürlich angepasst werden müssen auf die speziellen Herausforderungen.
Das eine ist dann die Investition in Technologien, natürlich auch Schulungen, aber eben auch das Begleiten mit einem Change-Akzeptanzmanagement. Denn wir können als Anbieter von tollen Lösungen noch so tolle Sachen kreieren, aber wenn du die Mitarbeitenden in den Behörden, das Gleiche gilt in der Industrie, nicht mitnimmst, verpufft dieser Effekt. Und im Endeffekt hat man Geld investiert, aber wenn es nicht in die Nutzung kommt und auch in überzeugte Nutzung – auch Ängste abbauen, Sorgen abbauen – werde ich damit überflüssig? Nein, werde ich nicht, weil wir brauchen euch alle, da immer weniger an Bord sind. Also ganz wichtig: Hier flankierende Maßnahmen reinzusetzen, die weit über die reine Technologie hinausgehen.
Und selbstverständlich sind viele dieser Projekte Organisationsprojekte, die am Anfang gar nicht so sehr mit der Technologie zu tun haben, sondern damit, wie ich mich auch anders organisiere und die Digitalisierung nutze, um liebgewonnene alte Zöpfe auch mal beherzt abzuschneiden und zu sagen: Muss ich jeden analogen Prozess wirklich eins zu eins digital umsetzen? Die Antwort ist natürlich klar, das muss ich nicht, weil die Digitalisierung heute viel mehr und anders kann. Vor allem beschleunigt mich das wieder. Viele Projekte leiden darunter, dass man zwanghaft versucht, bestehende, seit Jahrzehnten eingeübte analoge Prozesse – was menschlich verständlich ist – in digitalen Lösungen abzubilden, was dann wieder beliebig schwerfällig wird und sich weit vom Standard entfernt. Dann habe ich alle Folgeprobleme, dass diese Lösungen nicht skalieren, nicht performant genug sind, nicht supportfähig sind und nicht releasefest sind. Also da ist sicherlich die große Kunst, auf der einen Seite die berechtigten individuellen Anforderungen des öffentlichen Dienstes, auch bei HR-Software-Lösungen, zu erfüllen, ohne das Rad immer wieder komplett hochindividualisiert neu zu erfinden.
Digitale Souveränität und Cloud-Lösungen: Balance zwischen Sicherheit und Effizienz
Michael Scheffler
Wenn wir über Digitalisierung sprechen, fällt mir auch noch ein weiterer wichtiger Punkt ein, der die HR- und IT-Abteilungen im Public Sector beschäftigt: das nahende Wartungsende der on-premise-basierten SAP HCM-Lösung. Die SAP stellt ja mit SAP HCM for S/4HANA, auch unter H4S4 bekannt, eine entsprechende Nachfolgelösung zur Verfügung, die ebenfalls on-premise, aber eben auch in einer Cloud-Variante, der sogenannten Private Cloud Edition, betrieben werden kann und die es nun gegebenenfalls zu migrieren gilt. Johannes, was kannst du unseren Hörerinnen und Hörern hier zu berichten?
Vielleicht noch eine Bemerkung dazu: Ich habe vor einiger Zeit an gleicher Stelle, also auch in diesem Format, gemeinsam mit Hermann Josef Hark, dem DSAG-Fachvorstand Personalwesen und Public Sector, über das Thema H4S4 diskutiert. Das würde ich auch nochmal in den Shownotes zu dieser Folge verlinken. Also was hast du hier aus deiner Praxis zu berichten zu dem Thema?
Johannes Rosenboom
Ich habe ja eingangs erwähnt, dass der öffentliche Dienst aus guten, nachvollziehbaren Gründen teils unter besonders strengen Vorschriften steht, was Datenschutz, Verfügbarkeit und Datenhoheit angeht – Stichwort digitale Souveränität. Von daher haben klassische, reine Public-Cloud-Angebote, auch unabhängig von SAP, HR-Themen, ihre Grenzen. Das heißt, der öffentliche Dienst, man könnte auch sagen, der Staat hat ein vitales Eigeninteresse, digitale Souveränität zu behalten. Das heißt nicht nur, wo die Daten liegen und wie sie verarbeitet werden, sondern auch insgesamt die Hoheit über den gesamten prozessualen Ablauf zu behalten Das heißt übersetzt: Wir werden im öffentlichen Dienst immer wieder die Hürden erleben, dass gewisse sensible Bereiche – wenn wir in den Kern der Personalverwaltung gucken, also die Personalstammdaten, Entgeltabrechnung, vielleicht auch die Zeitwirtschaft – in Private Clouds, on-prem oder in gesicherten Rechenzentren, mindestens in Deutschland, gehalten werden müssen.
Jetzt kann ich auch nicht in die Glaskugel schauen, was in 20 oder 30 Jahren ist, aber doch in näherer Zukunft. Andere Module, die natürlich auch SAP anbietet – wir hatten eben über Demografie, Employer Branding, Rekrutierung gesprochen – die weniger sensible Daten verarbeiten, die ein schnelleres Time to Market erfordern und vielleicht auch von Kernsystemen abgeschottet werden können, in denen sensible Daten liegen, wie Lernumgebungen oder Recruiting-Schnittstellen nach außen und vergleichbare HXM-Cloud-Angebote, da wird sich der öffentliche Dienst wahrscheinlich schneller den Vorteilen der Cloud öffnen. Aber auch da gilt: digitale Souveränität. Wir sehen das in vielen anderen Themen auch – Stichwort „Deutsche Verwaltungs-cloud“, Stichwort „Rechenzentren in Deutschland“, Stichwort „Rechenzentren unter der fachlichen Sicherheitsaufsicht des BSI“. Diesen Anforderungen müssen sich die Anbieter stellen, und viele tun das auch schon.
Im Kern haben wir natürlich im öffentlichen Dienst, wenn ich in die SAP-Personalsoftware Welt gucke, die Besonderheit, dass wir beispielsweise im Bund ja noch das SAP PVS Plus haben. Also aus heutiger Sicht, ich sage es mal vorsichtig, von der Roadmap der SAP her, eine veraltete Technologie, die komplett on-premise läuft und im Bund seit geraumer Zeit eingeführt wird. Da wird wahrscheinlich die SAP, das weißt du besser als ich, nicht drum herumkommen, zu sagen: Diese Systeme müssen wir von der Roadmap her wahrscheinlich bis 2030 on-premise halten. Das heißt aber nicht, dass sich auch der öffentliche Dienst zunehmend für Cloud-basierte Applikationen öffnen muss. Wir haben die Treiber eben genannt, um einfach schneller zu werden, um auch attraktiver zu werden und um den gesamten HR-Prozess aus Mitarbeitersicht in der Behörde durchgängig digital abbilden zu können. Das wird man natürlich mit eigenen Mitteln und aus eigenen Rechenzentren in der Komplexität schlicht und einfach nicht mehr schaffen.
KI-gestützte Digitalisierung im Public Sector
Michael Scheffler
An dieser Stelle rennt tatsächlich die Zeit, denn für das klassische SAP ERP Human Capital Management, also das SAP HCM-System on-premise, bleibt bloß noch bis 2027 Zeit bzw. mit erweiterter Maintenance bis 2030 – das sind die offiziellen Roadmaps der SAP – um auf die Nachfolgelösung oder in die Cloud zu wechseln. Die Nachfolgelösung, das erwähnte H4S4-System, ist dann bis 2040 in der Wartung. Das ist dann wieder ein etwas entspannterer Zeitraum. Insofern muss man jetzt auch im öffentlichen Dienst relativ kurzfristig sich damit beschäftigen, wie man mit einer existierenden SAP HCM-Lösung umgeht.
Anders, wenn wir über Digitalisierung sprechen und über deutsche Anbieter wie die SAP, fällt mir in diesem Zusammenhang noch ein, dass ihr erst vor Kurzem eine Kooperation mit dem deutschen KI-Unternehmen ALEPH ALPHA publik gemacht habt. Was genau umfasst eure Zusammenarbeit, und können auch HR-Abteilungen im öffentlichen Dienst davon profitieren? Kannst du uns dazu noch etwas sagen?
Johannes Rosenboom
Ja, ALEPH ALPHA, ich sage mal, das "Unicorn Deutschlands", wenn nicht Europas, im Bereich KI. Mit ALEPH ALPHA aus Heidelberg haben wir vor etwa 4-5 Monaten eine sogenannte Platinumpartnerschaft abgeschlossen. Das heißt, wir sind bisher der einzige und erste Platinumpartner, dediziert für die Branche Public Sector. ALEPH ALPHA hat ein hochinteressantes Modell, das gerade erst vor Kurzem neu gestartet wurde, mit einem doch anderen Ansatz. Nämlich zu sagen, wir gehen nicht so sehr in den Wettbewerb mit den allgemeinen Weltmodellen einer Google, einer Microsoft und vergleichbaren, die mit gigantischen Investitionen und gigantischen Trainingsdatenmengen die Weltmodelle immer ausgefeilter machen.
Ich sage jetzt mal ketzerisch: Ich kann dann Katzenbilder noch besser unterscheiden und ich kann mir alle möglichen Texte aus dem Internet zusammenfassen lassen. Das ist sicherlich spannend und klasse, aber der wahre Schatz – wir haben es eben schon angedeutet – liegt in der Verwaltung im Backend, in den Fachverfahren. Und da ist die wahre Rendite einer Digitalisierung. Und darauf zielt ALEPH ALPHA mit seiner Architektur unter dem Stichwort "digitale Souveränität" ab. Du trainierst nicht Modelle, die in China, den USA oder sonst wo liegen, sondern du, lieber Kunde, kannst in deiner Umgebung oder in deutschen gesicherten Rechenzentren, wie beispielsweise bei Stackit oder auch bei ALEPH ALPHA selbst, oder in deinen Landesrechenzentren Modelle aufbauen, die unter deiner Sicherheitsvorgabe und unter deinen Datenhoheitsansprüchen quasi in den Datenschatz deiner Verwaltungs-Backend-Infrastrukturen gehen.
Das heißt ganz konkret: Solche Projekte machen wir bereits, zum Beispiel in der Justiz, um Richter und Richterinnen dahingehend zu unterstützen. Ich muss klar sagen, diese ganzen Angstgebilde, dass KI uns alle ersetzt und selbst entscheidet, stimmen nicht und werden so auch nicht kommen. Vielmehr geht es um Entlastung und Unterstützung und die Vorbereitung für Menschen. Zurück zu den Richtern und Richterinnen: Wir bauen gerade ein Projekt mit ALEPH ALPHA und der Justizverwaltung auf, bei dem wir sagen: "Okay, im Datenbestand von Gerichtsentscheidungen und Urteilen, bereite mir bitte, liebe KI, eine Entscheidungsvorbereitung auf und unterstütze den Richter oder die Richterin, indem du zeigst, wie in ähnlichen Fällen entschieden wurde." Ganz wichtig ist: ALEPH ALPHA spuckt nachvollziehbare, transparente Ergebnisse aus. Man kann immer sagen, woher die Bewertung kommt. Viele andere Modelle können das nicht oder machen es einfach nicht, und man muss das, was der Algorithmus ausspuckt, als bare Münze nehmen.
Zu deiner Frage: In Personalabteilungen machen wir gerade auch ein Projekt in einer deutschen Behörde, bei dem es darum geht, Bewerbungsunterlagen nach gewissen Stichworten abzugleichen, um zu entscheiden, ob der oder die Kandidatin überhaupt das ist, was wir suchen, um schneller zu werden. Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, auch bei Materna oder bei euch: Nichts ist tödlicher, als wenn der Kandidat sagt, "Okay, ich habe Interesse", und dann hört er sechs Wochen nichts, weil der Prozess so lange dauert. Also geht es um schnelle Reaktionen. Das sind klassische Use Cases, die auch in Personalabteilungen interessant sein können, wie das Auswerten und Kanalisieren von Bewerbungsunterlagen zur Vorbereitung von Entscheidungen. Das heißt nicht, dass der Mensch nicht entscheiden kann, die KI zu überstimmen und trotzdem mit dem oder der Kandidatin zu sprechen. Es geht nicht darum, dass ein KI-Algorithmus in absehbarer Zeit über Wohl und Wehe entscheidet, und das wird besonders im öffentlichen Dienst nicht so schnell passieren.
Barrierefreiheit im Fokus: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und seine Bedeutung für den öffentlichen Dienst und die Industrie
Michael Scheffler
Super spannend. Wer sich für das Thema KI interessiert, kann gerne die letzte Podcastfolge anhören. Da habe ich mit meinem Geschäftsführer-Kollegen Matthias Grün über das Thema im SAP-Umfeld gesprochen. Ja, ich würde gerne abschließend noch zu einer letzten Frage kommen, Johannes. Und zwar hast du unter anderem die Herausforderungen Diversität und Inklusion aufgeführt. Hierbei geht es ja vor allem darum, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das vielfältige Talente willkommen heißt und fördert. Ein wichtiger Treiber für dieses Thema ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), ein schwieriges Wort, das unter anderem im öffentlichen Dienst sehr relevant ist. Kannst du uns hierzu noch ein paar abschließende Worte sagen, bitte?
Johannes Rosenboom
Sicherlich auch ein Kennzeichen des öffentlichen Dienstes: Wortungetüme, dann noch vier- oder fünfstellige Abkürzungen, bei denen ich selbst als Profi manchmal sage, "Was will uns der Dichter damit sagen?" Spaß beiseite: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist interessant, Michael, weil es nicht nur im öffentlichen Dienst relevant ist, sondern ab, meine ich, Juni 2025 auch für die Industrie ab einer gewissen Unternehmensgröße verpflichtend wird. Kurz zusammengefasst: Barrierefreiheit im Kern – viel schöner ist eigentlich der viel weitere Begriff "Accessibility", also Zugänglichkeit.
Ein weites Feld in Applikationen, in Browser-Oberflächen, also kontrastreiche Farben, die Möglichkeit, sich Texte vorlesen zu lassen und so weiter. Interessant ist, dass zunehmend auch Aspekte wie leichte Sprache, einfache Sprache und Gebärdensprache hinzukommen. Das Ganze kommt ursprünglich aus einer europäischen Richtlinie, die dann in nationales Recht umgesetzt wurde. Im Public Sector ist das schon seit längerer Zeit ein Thema, und wir bei Materna – der Werbeblock sei an dieser Stelle erlaubt – sind da sehr aktiv unterwegs. Wir halten diverse Zertifizierungen, dürfen auch Tests durchführen und machen Tausende von Prüfungen und Tests mit konkreten Lösungsvorschlägen und Entwicklungsbegleitungen in der Folge. Das heißt, wir sind da ein sehr großer Anbieter.
Auch das Thema Inklusion spielt eine Rolle, unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Verantwortung, aber auch ganz pragmatisch: Diese Potenziale brauchen wir ebenfalls – Stichwort Demografie – und natürlich für die Beteiligung am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben. Also ein immenses Thema, das in den Personalabteilungen und in deren digitalen Systemen zukünftig noch viel mehr an Bedeutung gewinnen wird. Ich muss nicht nur die Systeme und Applikationen barrierefrei gestalten, sondern auch als Personaler in diese Themen hineinschauen und mich damit auseinandersetzen.
Michael Scheffler
Dankeschön. Das war auch nochmal eine spannende Geschichte. Ja, wir sind am Ende der heutigen Folge. Ich sage vielen Dank, Johannes, für das interessante Gespräch. Das letzte Wort gehört dir.
Johannes Rosenboom
Ja, Michael, vielen Dank. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ein riesig breites Thema, das wir jetzt hier und da nur streifen konnten. Aber ich kann nur immer wieder Werbung machen: Der öffentliche Dienst ist wesentlich spannender als gedacht. Ich arbeite seit 30 Jahren mit Leidenschaft für diese Branche und lerne jeden Tag dazu.